Oder
auch: Warum ich von nun an Comics lesen möchte
In
der vergangenen Bookplanetarium-Liveshow zu Magdas
Apokalypse und Der Sommer ihres
Lebens haben Lea (Liberiarium), Philip (Book Walk) und ich gemeinsam unsere
Erfahrungen zu den beiden Comics gesammelt. Mit ein paar nachträglichen
Gedanken würde ich gerne an das Video anknüpfen und das herausstellen, was Lea
bereits angedeutet hat: Ohne zu wissen haben wir uns zwei Werke ausgesucht, die
die Erfahrungen zweier Frauen behandeln, das Thema des Todes ist allgegenwärtig
und beide Figuren sehen sich mit dem Lauf der Zeit konfrontiert.
Natürlich
sieht immer einen Zusammenhang da, wo man einen sehen möchte, allerdings haben
mich beide Werke – erschienen bei zwei verschiedenen Verlagshäusern, Splitter (Magda) und Reprodukt (Sommer) – auf eine neue Art und Weise
berührt. Ich bin unerfahrene Comicleserin. In meiner Teenagerzeit habe ich
massig Mangas konsumiert, mit Superhelden kam ich auch ab und an in Berührung
(jedoch eher durch Animationsserien, als durchs Lesen), allerdings war mir nie
bewusst, dass Geschichten auch so
erzählt werden können.
Was
meine ich damit?
Beim
Lesen dieser Comics war ich fasziniert davon, wie harmonisch Bild und Text
miteinander interagieren. Viele tun das Comic esen als eine „einfache“
Tätigkeit ab – schließlich assoziiert man damit vielleicht die guten alten, unterhaltsamen Asterix und Obelix oder Donald Duck-Geschichten – und auch ich
habe mich nicht angeregt gefühlt, sogenannte „Graphic Novels“ in die Hand zu
nehmen, weil... warum auch? Wenn ich einen Roman lese, dann brauche ich keine
Bilder um mir die Welt, die mir erzählt wird, vorstellen zu können. Das
erledigt schließlich mein Kopf. Man unterschätzt jedoch schnell, welche
Aussagekraft Bilder haben können und vor allem, wie ehrlich diese sind.
Oftmals führen sie uns Dinge vor Augen, an die sich unsere Phantasie gar
nicht heranwagt.
Dies
haben mir Magdas Apokalypse und Der Sommer ihres Lebens eröffnet. Damit
ihr nachvollziehen könnt, was ich meine, möchte ich kurz auf die einzelnen
Comics eingehen.
In
Magdas Apokalypse von Chloé
Vollmer-Lo und Carole Maurel wird Magda ein Tag vor ihrem 13. Geburtstag eröffnet,
dass die Welt untergeht. Sie fasst den Entschluss in einem einzigen Jahr
alles nachzuholen, was ihr das Leben eigentlich geboten hätte, hätte sie die
Chance gehabt, alt zu werden. Sie wird von hier auf jetzt erwachsen, oder denkt
zumindest, dass sie es wird. Damit geht sie Dingen entgegen, die einer
typischen „Innocence Lost“-Geschichte gleichen, jedoch wird dies mit
farbkräftigen, fast schon ein bisschen roh und schroff gezeichneten Bildern
untermalt. Handlungen werden nicht nur durch den Text angedeutet, sondern mit
Bildern skizziert, die es verhindern, dass das Gehirn einen Schwenker macht,
sodass wir denken Ach, vielleicht war das
gar nicht so schlimm! Wir sehen wie Magda auf der Überholspur dem Ende
ihres Lebens entgegensteuert.
Dabei
hat mir besonders gefallen, wie realitätsnah die Geschichte erzählt wird.
Abgesehen von den offensichtlichen Erfahrungen, die sich Magda aufzwingt,
wird sie mit den Problemen eines pubertierenden Mädchens bekannt gemacht, wie
ihre erste Periode, das Bedürfnis, autonom zu agieren, und die erste Liebe.
Zu
behaupten, dies wäre eine normale „Coming of Age“-Geschichte ist eine
wahnsinnige Untertreibung und vor allem Unterschätzung. Mir fiel nämlich auf,
dass die „Apokalypse“ in dem Titel des Comics zweideutig interpretiert werden
könnte. Einerseits befindet sich Magda in einer buchstäblichen Apokalypse – die
Welt soll wirklich untergehen und der Leser begleitet sie durch das Jahr hinweg
mit einem stetigen Zeitdruck, dass sie nicht mehr lange zu leben hat, was der
Antrieb der Geschichte ist. Andererseits könnte sich die „Apokalypse“ auf ihr
Aufwachsen beziehen, auf ihr Recht, von einem Kind zu einer jungen Frau
heranzuwachsen, die unter einem enormen Stress steht, alles zu erleben, was das
Leben zu bieten hat, oder das, was sie vom Leben erwartet. Oder was sie glaubt erwarten zu müssen, weil der Druck von außen so stark ist. Ein Gedanke, mit dem
sich jedes junge Mädchen in der heutigen Gesellschaft in ihrem Alter beschäftigt.
In
einem kompletten Gegenteil lernen wir Gerda in Der Sommer ihres Lebens kennen. Gerda steht auch vor dem Ende ihres
Lebens – allerdings hat sie schon eine Menge erlebt und erzählt in
Retrospektive über ihre Erfolge und ihr Scheitern. Sie befindet sich in einem
Altersheim und der Comic lässt den Leser anhand des verträumten, künstlerischen
Zeichenstils an ihrer Nostalgie teilnehmen. Der Comic ist sehr kurzweilig, aber
aufgrund der wechselspielerischen Beziehung zwischen Bild und Text wirkt er wie
ein Film, der einen kurz, aber prägnant in den Bann zieht, sodass
man – wenn man wiederauftaucht – glaubt, sich von dieser intensiven Erfahrung
nicht erholen zu können. So ging es mir zumindest, denn ich hatte das Gefühl,
dass die Geschichte viel zu kurz war.
Aber
vielleicht war das genau die Absicht von Barbara Yelin und Thomas von
Steinaecker. Gerda erinnert sich an den einen ganz besonderen Sommer in ihrem Leben, den dieser
hat den Verlauf ihres weiteren Lebens bestimmt. Sie setzte sich als Physikerin
in einer Männerdomäne durch. Eine glanzvolle Karriere könnte ihr zu Füßen
liegen, doch dann lernte sie jemanden kennen. Vor so einer Entscheidung standen
und stehen vermutlich auch noch jetzt Frauen. Karriere oder… ja, was denn nun?
Eine glückliche Ehe? Eine Familie? Die Freunde?
Bittersüß
führt Der Sommer ihres Lebens einem
die Realität vor Augen: Einerseits kann man sich gut mit Gerdas Dilemma
identifizieren, andererseits wird der Leser auch mit Gerdas Aufenthalt im
Altersheim vertraut gemacht, was mich besonders zum Nachdenken angeregt hat.
Man schenkt den älteren Menschen unserer Gesellschaft wenig Aufmerksamkeit,
wobei ich das natürlich nicht generalisieren möchte. Aber durch persönliche
Erfahrungen hat mich diese Geschehnisse dort innerhalb der Geschichte besonders
mitgenommen. Dabei sind die Macher gnadenlos und drücken ununterbrochen auf die
Tränendrüse. Ja, die Geschichte berührte mich – aber auf einer Ebene, in der
Text und Bild miteinander ergänzend und symbiotisch arbeiten. Die Bilder sind träumerisch,
doch das, was sie abbilden, liegt unmittelbar in der Realität.
In
beiden Comics sieht man, welchen Einfluss die Zeit auf beide Frauen hat und wie
sie mit der Zeit umgehen. Magda beschließt, die Zeit zu nutzen, vielleicht auch
zu einem gewissen Grad zu missbrauchen,
weil diese gegen sie arbeitet, während Gerda, selbst sichtlich geprägt von der
Zeit, die sie schon hinter sich hat, sich genau an diese erinnert, und sie vielmehr mit offenen Armen begrüßt und
akzeptiert, anstatt Reue zu zeigen.
Ich
habe durch beide Comics sehr viel gelernt. Die Geschichten und der intensiven
Bilder brachten mich dazu, mich mit den oben genannten Themen tiefer zu
beschäftigen und auch über meine Wenigkeit zu reflektieren, und wenn
Geschichten das schaffen, haben sie meiner Meinung nach etwas richtiggemacht.
Oder
seid ihr da anderer Meinung?
Short Facts
Titel: Magdas Apokalypse
Autorin: Chloé Vollmer-Lo
Zeichnerin: Carole Maurel
Übersetzerin: Monja Reichert
Verlag: Splitter
Preis: 24,80€
Sonstiges: 192 Seiten, Hardcover, Bookformat
Titel: Der Sommer ihres Lebens
Autoren: Barbara Yelin, Thomas von Steinaecker
Verlag: Reprodukt
Preis: 20,00€
Sonstiges: 80 Seiten, farbig, Hardcover
Keine Kommentare:
Kommentar posten
Mit dem von dir abgeschickten Kommentar akzeptierst du, dass der von dir geschriebene Kommentar und die personenbezogene Daten, (wie z. B. deine IP-Adresse) , die damit einhergehen, an Google-Server übermittelt werden. Beachte hierfür meine Datenschutzerklärung und die Datenschutzerklärung von Google.